Trolle in Stein verwandeln

Strategien für eine globale Gerechtigkeitsbewegung

von Starhawk Juli 2002

In Tolkiens Buch "Der Hobbit" werden Bilbo Beutlin und seine Zwergenfreunde von Trollen gefangen und sollen zum Essen gekocht werden. Sie werden durch den Zauberer Gandalf gerettet, der die Trolle durch Reden und Zanken beschäftigt, bis der Tag anbricht. – Sonnenlicht verwandelt Trolle in Stein.

Diese Geschichte könnte ein gutes Vorbild zu direkten Aktionsstrategien für die globale Gerechtigkeitsbewegung abgeben. Im Grunde befinden wir alle uns in dem Eintopf, während sich die Trolle der Konzerne an den Ressourcen und Arbeitsprodukten der Welt laben. Der globalisierte Konzern-Kapitalismus hängt aber davon ab, sein wahres Wesen zu verbergen und im Schatten zu wirken. Er hüllt sich in die Rhetorik und den Anschein der Demokratie. Dem Licht ausgesetzt, kann er nicht mehr funktionieren.

Was verstehen wir unter der "Globalisierung" der Konzerne? Es handelt sich dabei um eine Ideologie, die den Profit zum höchsten Wert und bestimmenden Faktor für alle menschlichen Aktivitäten erhebt, für individuelle wie kollektive. Diese Ideologie besagt, daß Konzerne in ihrem Drängen nach Profiten nicht behindert werden dürfen und daß alle Quellen des natürlichen und menschlichen Lebens der Ausbeutung offenzustehen haben. Dienstleistungen und Infrastrukturen, die bislang gemeinschaftlich und von gewählten Regierungen zur Verfügung gestellt wurden, sollen Arenen der Profiteure werden, wobei zwar einige Leute reicher würden als andere, die Befolgung dieses Programmes letztlich aber alle reicher machen und allen nützen solle.

Die Globalisierung der Konzernwirtschaft wird von bestimmten Institutionen vertreten, wie der Weltbank und dem IWF, die den stark verschuldeten Drittweltländern als Gegenleistung für die Teilhabe an der Weltwirtschaft ihre Bedingungen auferlegen. Und sie wird durch Handelsabkommen wie das NAFTA (The North American Free Trade Agreement), das vorgeschlagene FTAA (Free Trade Agreement of the Americas – die Ausweitung des NAFTA auf bei amerikanische Kontinente), und viele andere wie das globale GATT (Global Agreement on Tariffs and Trade), welche von der WTO (Welthandelsorganisation) durchgesetzt werden. Diese Abkommen und Institutionen stellen sich über die demokratisch entstandenen Gesetze der einzelnen Länder und ermöglichen es, daß diese durch Entscheidungen eines WTO-Tribunals außer Kraft gesetzt werden, wodurch zum Beispiel Handelsverbote mit Waren aus Kinderarbeit als unerlaubte Beschränkungen verboten werden. Viele Abkommen ermöglichen es den Konzernen, Regierungen für den entgangenen Profit zu verklagen, wenn sie von Gesetzen eingeschränkt werden. Ein kanadischer Konzern hat jüngst hunderte Millionen Dollar vom Staat Kalifornien einfordern können, welcher einen grundwasserschädigenden Zusatz zu Benzin verboten hat. Und der Konzern A.U.S. hat Kanada wegen des Verbotes eines Zusatzes verklagt, der Hirntumore bei Kindern hervorruft.

Dieses Programm wird durch die enorme militärische und polizeiliche Macht des Staates gestützt, hauptsächlich der USA, aber auch von unseren Verbündeten. Der "Krieg gegen den Terror" ist die perfekte Ausrede geworden, um diese Macht auszudehnen, bis daraus eine globale Vorherschafft wird.

Das Globalisierungsprogramm ist auf verschiedenen Ebenen problematisch: Es ist offenkundig ungerecht und läuft jedem menschlichen Impuls zu Mitgefühl, Großzügigkeit und Gemeinschaftlichkeit entgegen. Es widerspricht den Lehren einer jeden Religion oder Sozialethik. Es zerstört die grundlegenden lebenserhaltenden Systeme des Planeten. Und es funktioniert nicht. Es gestattet den Konzernen freie Beweglichkeit über Grenzen hinweg, um sich das geringste Niveau an Löhnen und Regulierungen zu suchen; damit senkt es den Lebensstandard der arbeitenden Bevölkerung überall auf der Welt. Es beschlagnahmt die Ressourcen, die Gemeingut bleiben sollten, und konzentriert Reichtum und Macht in immer weniger Händen. Dagegen schafft es für Milliarden Menschen Elend, Armut und Verzweiflung.

Es mag als eine überwältigende und hoffnungslose Aufgabe erscheinen, sich solch einem System zu widersetzen. Wie können wir einem System gegenübertreten, das über derartige wirtschaftliche Ressourcen gebietet, die wesentlichen Massenmedien kontrolliert und alle militärischen, polizeilichen und rechtlichen Mächte der Staaten für sich moblisieren kann?

Wie mächtig das System aber scheinen mag, so beruht es doch auf dem Einverständnis und der schweigenden Zustimmung genau der Menschen, die es ausbeutet. Die vielen von uns, die nicht wirklich von dem System profitieren, stützen es dennoch durch ihre Teilnahme. Ohne unsere Arbeit, unseren Gehorsam, ohne unsere Bereitschaft uns selbst zu zensieren, kann das System nicht funktionieren.

Zum Teil arbeitet die Öffentlichkeit deshalb mit dem System zusammen, weil es sein wahres Wirken unter geschickter Rhetorik, obskuren Wirtschaftstheorien und den Verlockungen der Demokratie verbirgt. Trolle gedeihen in der Dunkelheit.

Eine Strategie der globalen Gerechtigkeit besteht also darin, die Trolle dem Licht auszusetzen: die Wahrheit über das System zu verbreiten, den Menschen seine Auswirkungen auf alltäglicher Ebene zu demonstrieren, und deutlich zu machen, wo es nicht funktioniert. Letztlich ist unser Ziel, die Legitimation des Systems auszuhöhlen und die schweigende Unterstützung ins Wanken zu bringen.

Es gibt viele Gruppen, von Bürgerrechtsorganisationen bis hin zu unabhängigen Medien, die daran arbeiten, dieses Licht auf das System zu werfen. Wie aber können wir in einer von Informationen überladenen Welt die Aufmerksamkeit der Menschen gewinnen, die ohnehin überlastet sind von furchterregenden und dringlichen Nachrichten?

PädagogInnen sprechen vom "belehrbaren Augenblick", von dem Moment, in welchem ein teilnahmsloser und gelangweilter Lernender plötzlich eifrig und lernbereit wird. Die Menschen werden dann belehrbar, wenn ihnen ihr Informationsbedarf bewußt wird.

Darin besteht einer der Hauptzwecke des Protestes: so viel Aufregung, Dringlichkeit und Dramatik um ein Thema herum zu erzeugen, daß auch Menschen, die es vorher abgeschaltet haben, sich plötzlich zur Aufmerksamkeit gedrängt fühlen.

Menschen werden aber auch durch Angst beeinflußt. Wir mögen das System hassen, aber wir sind auch davon abhängig. Was wird uns zustoßen, wenn wir dagegen handeln? Wie können wir denen vertrauen, die uns zum Handeln drängen oder die daran glauben, daß ihre Vorschläge zum Besseren führen werden?

Die Menschen arbeiten deshalb mit dem System zusammen, weil sie keine Alternative sehen oder glauben, keine Wahl zu haben. Kontrollmechanismen arbeiten immer damit, daß sie unsere Wahrnehmung unserer Wahlmöglichkeiten begrenzen.

Die Herausforderung an uns als Bewegung besteht darin, dem derzeitigen System die Legitimation zu entziehen, einen größeren Rahmen an Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten aufzuzeigen und den Leuten die innere Kraft dazu zu geben, sich gegen das System zu stellen und eine alternative Vision ins Auge zu fassen.

Wir sind recht gut darin gewesen, Schlaglichter zu werfen, Dramatik zu schaffen und das System zu delegitimatisieren. In den zweieinhalb Jahren seit Seattle haben wir vermocht, die öffentliche Aufmerksamkeit auf viele Institutionen der Konzern-Globalisierung zu lenken, den Diskussionen eine neue Richtung zu geben und die bis dahin unhinterfragte Akzeptanz dieser Politik zu stören.

Wir waren aber weniger erfolgreich darin, eine klare Alternativ-Vision aufzubauen und öffentliches Vertrauen in eine solche zu schaffen.

Vertrauen bildet sich natürlich erst im Laufe der Zeit. Die globale Gerechtigkeitsbewegung zentriert sich nicht auf charismatische FührerInnen oder bestehende Institutionen, die dem Vertrauen ein Gesicht geben könnten. Es handelt sich vielmehr um eine amorphe, sich stets entwickelnde, sich selbst organisierende Masse. Wenn aber die in der Bewegung engagierten Leute ihre Zeit, Aufmerksamkeit und Fertigkeiten als OrganisatorInnen auch in lokale Themen und Organisationen vor Ort einbringen ebenso wie in die Aktionen bei den großen Gipfeln, dann kann ein solches Vertrauen wachsen.

Vertrauen muß aber aus einer Vision hervorgehen. Und ich glaube, daß wir tatsächlich eine klare Alternative zur Ideologie des globalisierten Kapitalismus der Konzerne zu bieten haben: Wir stehen für Demokratie, Gemeinschaft und echten Wohlstand.

Demokratie bedeutet, daß die Menschen eine Stimme in den Entscheidungen haben, von denen sie betroffen sind, einschließlich der wirtschaftlichen. Demokratie erfordert viel Zeit und öffentlichen Raum, gute Bildung und freien Zugang zu Informationen. Und Demokratie bedeutet, daß keine Gruppierung aufgrund ihrer Rasse, des Geschlechts, ihres sexuellen Lebensstiles, Alters, körperlicher Fähigkeiten oder anderer "ismen" von der Macht ausgeschlossen werden kann.

Wir stehen für das Recht einer Gemeinschaft ein, über ihr eigenes Schicksal und ihre Ressourcen zu bestimmen, ob das nun Eingeborenengemeinschaften sind, die ihr Land und ihre Kultur erhalten möchten, oder eine Gemeinde, die ihr eigenes Krankenhaus erhalten will. Unternehmen und Geschäfte müssen in den Gemeinschaften wurzeln und ihnen auch verantwortlich sein.

Wir sagen, daß echter Wohlstand darin besteht, die lebenserhaltenden Systeme des Planeten zu schützen; daß es Dinge gibt, die zu kostbar sind, um sie käuflich zu machen um des Profites willen, von den alten Regenwäldern bis zum Wasser, von dem alles Leben abhängt. Wohlstand entsteht nicht durch das Ansammeln und Konzentrieren von Reichtümern, sondern durch die breitest mögliche Verteilung. Wahrer Wohlstand bedeutet Sicherheit, und diese kann nur aus dem Begreifen dessen entstehen, daß wir alle eine gemeinsame Verantwortung für einander haben, uns durch schwere Zeiten hindurch zu helfen und uns in Mißgeschicken zu unterstützen.

Und wir sagen auch, daß Demokratie, Gemeinschaft und wirklicher Wohlstand das beste Gegenmittel gegen die Verzweiflung sind, aus welcher Terrorismus wächst, und das beste Mittel, um unsere globale Sicherheit zu garantieren.

Wenn wir über Aktionen und Taktiken nachdenken, dann müssen wir überlegen, wie diese in unsere langfristigen Strategien passen. Wir müssen genug Krawall schlagen, um die Aufmerksamkeit der Menschen zu wecken, dabei aber darauf achten, daß wir dadurch nicht uns selbst sondern dem System die Legitimation entziehen. Unterschiedliche Taktiken und Aktionen dienen verschiedenen Zielen: Sichere, legale Proteste haben einen wichtigen Zweck: Sie mobilisieren diejenigen, die vor anderen Aktionen Angst hätten. Sie bieten den Menschen eine Möglichkeit, ihre Angst zu überwinden, ein Gemeinschaftsgefühl zu erleben, sich auszudrücken, und auch unsere Vision zu erfassen und Vertrauen aufzubauen.

Direkte Aktionen, die die unterdrückende Macht unmittelbar konfrontieren, die unsere Zustimmung zum System aktiv aufkündigen, die Dramatik und Dringlichkeit erzeugen, machen oft die dem System innewohnende Gewalt sichtbar. Die von mir gewöhnlich bevorzugte Taktik besteht aus gewaltfreien direkten Aktionen, weil diese es uns ermöglichen, gleichzeitig Dringlichkeit und auch Vertrauen zu erzeugen. Gewaltfreie Aktionen können ganz offen geplant werden und mobilisieren mehr Menschen, wobei sie die Leute ermutigen, ihre Angst zu überwinden und größere Risiken einzugehen.

Die kraftvollsten Aktionen sind diejenigen, in welchen wir Konfrontationen herbeiführen, die auch unsere Vision verkörpern. Wenn wir die Alternativen leben, in unserem Organisieren, im Bilden unserer Koalitionen, in unserem Alltag, in unserem Mut zum Handeln, dann werden wir zu dem Sonnenlicht, daß die Trolle zu versteinern vermag.

 

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Übersetzung: Jörg Wichmann