Friedensaktionen:   Martin-Luther-King-Wochenende, 18.1. – 20.1.03, Washington D.C.

von Starhawk / Übersetzung: Brigitte Hummel

 

Freitag:
Um 9 Uhr morgens kamen wir zum Lafayette Park, direkt gegenüber vom Weißen Haus.

Es war ein kalter Tag, die Temperaturen etliche Grade unter Null, der Boden überzuckert von Schnee. Außer uns und ein paar engagierten Frauen in Rosa, die Wache vor dem Weißen Haus hielten, war niemand da. Einige Mitglieder unserer Gruppe zogen ein Labyrinth in den Schnee. Wir befestigten unsere Netze, stampften mit den Füßen und bliesen Rauch mit unserem Atem. Nach und nach kamen weitere Frauen hinzu, und als der richtige Augenblick gekommen war, nahmen wir uns bei den Händen, bildeten einen Kreis und liefen durch das Labyrinth. Einige von uns liefen hinein, aber nicht hinaus – eine einfache Form eines leichten Trancezustandes.

Es war ein entspannter Tag: Frauen kamen und gingen, und einige von uns verließen abwechselnd die Gruppe, um eine Tasse Tee zu trinken oder sich aufzuwärmen. Um die Mittagszeit, als es wärmer geworden war und sich eine etwas größere Gruppe versammelt hatte, bildeten wir einen Kreis und sangen spirituelle Lieder. Taubenschwärme flogen durch unseren Kreis, kreisten über unseren Köpfen, wo sie drei vollkommene Spiralen drehten; die Luft war erfüllt von Energie. Wir sprachen über die Notwendigkeit, negative Bindungen in uns zu lösen, die Bande zu lösen, von denen das Weiße Haus gehalten wird, wie auch die Macht, für die es steht, die sich an undemokratischen Interessen orientiert. Wir sprachen über die Notwendigkeit, neue Netze für Frieden und Gerechtigkeit zu weben. Wir hatten mehr als ein Dutzend Netze lose in Hulahoop-Reifen gewoben, und zwar in unterschiedlichsten Mustern: einige wie Spinnweben, mit sich strahlenförmig ausbreitenden Ankern und einer lockeren Spirale, die sie zusammenhielt; andere in der Form von Fahrrad-Speichen und wieder andere in Traumfänger-Mustern. Wir hatten Bündel von Garnknäueln und Bänder aus Stofffetzen.

Ich fragte die Anwesenden, welche negativen Bindungen sie in sich lösen wollten. Ursprünglich hatten wir vorgehabt eine Art Seilkonstruktion herzustellen, an der wir im Augenblick des Lösens Knoten entwirren konnten, aber wir sind einfach nicht dazu gekommen. Es war schlichtweg zu kalt die Handschuhe auszuziehen, und ich dachte mir, dass es wohl besser sei die innere Arbeit zu leisten und einfach die Absicht zu äußern als ein Seil mit Knoten zu knüpfen , die wir in Wirklichkeit gar nicht würden lösen können. Wir sprachen alle in den Kreis hinein, was wir lösen wollten, wobei mir auffiel, wie viele der Frauen das Wort "Furcht" nannten. In diesem Augenblick kam Roxanne, eine der Organisatorinnen vom AFSC (American Friends Service Committee) herüber und sagte mir, dass die Polizei Drohungen auszustoßen begann. Es war uns verboten, im Lafayette Park ohne Erlaubnisschein Gruppen von mehr als 25 Menschen zu bilden. Seit dem 11. September hatten sie keine Erlaubnisscheine für Zusammenkünfte im Lafayette Park mehr ausgestellt. Daher schlug ich den Frauen vor uns in Kleingruppen aufzuteilen, Netze zu nehmen und da hinein unsere Hoffnung auf Frieden und Gerechtigkeit zu weben und die Zeit zu Gesprächen miteinander zu nutzen. Es gab auch Aufwärmestuben für Gruppen. Die Frauen nahmen Netze und begannen zu weben. Lisa, Ruby, Joanne und andere Mitglieder der Heidengruppe kamen von ihrer Aufwärmepause zurück und fingen an Garn von Parkbaum zu Parkbaum zu spannen. Wir hatten bald ein schönes, vielfarbiges Netz. Sie nahmen Hände voll Bänder und boten sie Vorübergehenden an sowie auch den Schulgruppen, die auf ihre Tour durch das Weiße Haus warteten. Sie schlugen ihnen vor, ihre Träume oder einfach einen Wunsch nach Frieden auf diese Bänder zu schreiben und sie in die Netze zu hängen. Den meisten Schulgruppen wurde der Kontakt mit uns verboten. Aber zumindest eine Gruppe entging der Kontrolle, die Schülerinnen und Schüler griffen sich Bänder und befestigten sie eifrig im Netz. "Mein Traum ist es Sängerin zu werden", rief ein junges Mädchen aus. Das Netz wurde immer größer, die Bänder fingen sich im Wind und wehten in Richtung des Weißen Hauses. Ich konnte die Energien all dieser Träume auf diese Kloake der Macht zufliegen sehen, sie waren wie frische Strömungen, die ein stagnierendes Gewässer in Bewegung bringen. Ich fühlte wie eine Welle von Hoffnung, Optimismus und Kraft durch mich hindurch spülte. Die Polizei kam sehr schnell herüber und befahl uns die Netze abzunehmen. Lisa verhandelte mit ihnen. "Ihr müsst sie abnehmen, sonst schneiden wir sie ab", meinte der Polizeioffizier. In ihren Uniformen schienen sie weniger gerüstet für das Wetter als wir. "Bevor das losgeht, sollten Sie uns sagen, ob Sie die Netze schön finden", sagte Lisa mit ihrem schönsten amerikanischen Lächeln. Sie sagten weder "ja" noch "nein", sondern berieten sich eine Weile und meinten dann die Netze seien ein Risiko für Spaziergänger (es waren keine da) und schadeten den Bäumen. Schließlich erklärte Lisa den PolizIstinnen, dass wir sie nicht abnehmen würden. Die blonde Frau von der Parkpolizei nahm ihr Notizbuch heraus und die Männer griffen sich ihre Messer und fingen an die Netze abzuschneiden. Ich hielt mich im Hintergrund, einmal, um Lisa gegebenenfalls zu unterstützen, aber hauptsächlich, um mich auf die Vorstellung zu konzentrieren, dass in dem Augenblick, wenn die Netze abgenommen oder abgeschnitten würden, die Kraft all der in ihnen enthaltenen Träume freigesetzt würde. Die Polizistin verlangte Lisas Namen und Adresse für ihren Bericht, wie sie erklärte. "Ich werde Ihnen meinen Namen nicht preisgeben", sagte Lisa ruhig und fest. "Sehen Sie, ich will nicht länger an diesem Alptraum teilhaben. Ich wähle heute das Leben." Und sie ging davon.

Um 17 Uhr etwa begann sich eine größere Menge zu versammeln für den Zug zum Farragut Platz. Wir erdeten uns wieder, und Victoria von der Wache der Frauen (Women’s Vigil) lehrte uns ein wunderschönes spirituelles Lied :

- Mut, Schwestern,

Ihr geht nicht allein.

Wir werden euch beistehen

Und führen euch heim.

 

Wir zündeten Kerzen an und liefen singend über den Farragut Platz, um uns den Frauen in Schwarz zu einer Mahnwache anzuschließen. Zu dieser Zeit waren wir zu einer Gruppe von mindestens 200 Frauen angewachsen, wir standen entlang einer ganzen Seite des Platzes. Ich muss allerdings zugeben, dass das Konzept der Mahnwache nie ganz eingehalten wurde: Einige Gruppen von Frauen sangen, andere unterhielten sich. Ich war schon zusammen mit Frauen in Schwarz in San Francisco, wo wir um den Union Square herumstanden, schweigend, und eine feierliche, fast gespenstische Kraft ausstrahlend. Oder mit Frauen in Schwarz in Jerusalem, wo keine einzige auch nur einen Augenblick lang still war, sondern jede die ganze Zeit redete, schwatzte oder heftig stritt. Die Idee der Mahnwache ist schön, in Wirklichkeit ist es dagegen sehr schwierig eine Gruppe dazu zu bringen still zu werden oder zu bleiben, besonders in der Dunkelheit und Kälte, wenn ein paar Trommeln und ein gutes spirituelles Lied dazu beitragen können die Energie zu halten. Wie dem auch sei, kurz nach 18 Uhr bildeten wir einen Kreis, begannen einen Spiraltanz und sangen:

- Wir sind ein Kreis in einem Kreis,

Ohne Anfang und ohne Ende.

Atem um Atem, Faden um Faden,

Beschwört die Gerechtigkeit, webt unser Netz.

Zu diesem Zeitpunkt waren wir 200 oder 300 Menschen, unser Tanz würde in einem herrlichen Kraftkegel enden, dem Höhepunkt des Tages. Dann zogen wir zum Luther Zentrum, um ein Frauenforum abzuhalten. Wir hatten ungefähr 80 Teilnehmerinnen, Platz für ein Abendessen, ich denke wir hätten mehr haben können. Aber die Rednerinnen begeisterten und fassten sich kurz; es gab Musik und Trankopfer; wir segneten einander und hörten viele Frauen von dem Einfluss militärischen Geistes auf ihre Gemeinden erzählen. Dann bildeten wir für einige Zeit Kleingruppen und diskutierten wie die drei Übel: Armut, Krieg, Rassismus, die Martin Luther King benannt hatte, sich auf unsere Gemeinschaften auswirkten und wie wir uns um sie herum organisieren können.

Vielen Dank an Victoria und Yulan von der Frauenwache und an Roxanne vom AFSC, die die meiste Organisationsarbeit geleistet haben.

Der Samstag war ein kalter, aber sonniger Tag. Unsere Gruppe versammelte sich eine Stunde vor Beginn des Marsches in der Haupthalle der Union Station. Ein paar von uns hatten das zwar für zu früh gehalten, aber wir konnten uns dadurch miteinander verbinden und unsere Energien sammeln, bevor wir zur Mall hinüber gingen. Vom Park gegenüber der Union Station aus beobachtete ich, wie die Menschen herbei zu strömen begannen, die Gehwege und die Straßen füllten. Ich empfand eine unglaubliche Freude: Tausende von Menschen kamen da zusammen. Wenn eine solch große Zahl bei den vielen Mobilisierungskampagnen, die ich erlebt hatte, zusammengekommen wäre, hätte mich das sehr glücklich gemacht. Hier aber war das nur ein Teil des breiten Stroms von Menschen, die sich zum Marsch versammelten.

Wir gingen zur Mall hinüber, fanden einen Platz für uns, richteten uns ein und webten ein Netz in einen Baum, was uns einen Tadel der Polizei eintrug. Die Reden dauerten unendlich lang, doch das gehört wohl zu den Veranstaltungen von ANSWER. Wir konnten die Redner nicht gut hören, blieben aber entspannt. Ich genoss gerade einen kurzen Augenblick in der Sonne, als Linda aus Vermont zu mir kam und fragte, ob wir versuchen würden, die Energien der Gruppe zu vereinen, bevor wir zur Demonstration aufbrachen. "Ich bin so müde", sagte ich ihr. "Ich kann es nicht." Einige Augenblicke später sah ich ein paar der tollen, jungen Frauen, die sich unserer Gruppe angeschlossen hatten, singen und trommeln und mit unseren Hulahoop-Netzen tanzen, und da fühlte ich plötzlich einen Strom von Energie in mir, stand auf und fing an mit ihnen zu trommeln. Die berittene Parkpolizei räumte das Straßenstück in unserer Nähe. Charles und Lisa, unsere KundschafterInnen, ließen uns wissen, dass der Marsch begann. Also verließen wir den Park und machten uns auf den Weg.

Einen kurzen Augenblick lang war die ganze Straße leer: wir konnten unseren Spiraltanz tanzen und sangen:

"Im Angesicht der Wahrheit kann keine Lüge bestehen,

Webt die Vision, Strang um Strang."

Wir befanden uns jetzt hinter der Bühne, auf der Patty Smith gerade sang. Wir hörten ein paar Worte ihres Gesangs auf unserem Weg zu Trommelgruppe der Anticapitalist Convergence. Kurze Zeit zuvor hatten ein paar Leute offenbar eine amerikanische Flagge verbrannt und waren von der Polizei angegriffen und festgenommen worden. Jetzt aber sahen wir keine Polizei in unserer Nähe. Die ACC-Leute spielten fröhliche Samba - Rhythmen. In den Pausen sangen wir alle: "Lasst Bush fallen, nicht Bomben."

Obwohl Lisa und Charles im Strudel des sich formierenden Demonstrationszuges gefangen und ihre Bewegungen blockiert waren, fanden sie für uns einen Weg. Wir bewegten uns vorwärts, die antikapitalistischen Trommler folgten uns, und alle folgten ihnen, sodass wir einen Augenblick lang ein Kontingent von ungefähr 2.000 Menschen anführten, die wir erfolgreich in den Demonstrationszug einfädelten. Es war ein riesiger Zug: nur ein winziger Teil war sichtbar, aber selbst die Washington Post schreibt, dass es sich um die größte Antikriegs-Demonstartion seit dem Vietnamkrieg handelte. Es waren zwischen 300.000 und 500.000 Menschen.

Wir gingen weiter zum Navy Yard (Marinewerft) und stellten dann fest, dass ANSWER weder ein Ende noch einen wirklichen Abschluss der Demonstration geplant hatte. Also schlüpften wir in eine ruhige Seitenstraße und bildeten einen Abschlusskreis.

Junipers 14jährige Tochter Geneva und ihre Freundin Ava waren recht angetan vom Schwarzen Block. "Du hast jetzt jahrelang versucht mich zu diesen Demos zu bringen", sagte Geneva zu ihrer Mutter, "aber du hast mir nie gesagt, dass der Schwarze Block unheimlich sexy ist!" "Diese Augen unter diesen Masken", meinte Ava, "du willst eigentlich nur den ganzen Tag mit ihnen gehen. Und diese Rebellionsmasche ist echt cool!"

Lisa und ich hatten bei den Vorbereitungstreffen für die Sktionen zivilen Ungehorsams des nächsten tages zu tun und gingen deshalb zur St. Stephen’s Church zurück, wo wir eine Mischung aus Treffen und Training veranstalteten für eine Gruppe, die schließlich ungefähr 200 Leute umfasste. Das überraschte und freute uns. Wir schafften es in etwa drei Stunden der Gruppe ein kurzes Training und wichtige Informationen zu geben und sie in Affinitätsgruppen aufzuteilen. Und wir organisierten einen SprecherInnenrat, der wichtige Entscheidungen treffen sollte. Ich hatte nicht erwartet, dass eine ausreichende Zahl von Menschen für eine heidnische Affinitätsgruppe zusammenkommen würde, aber schließlich waren 15 Leute aus unserer Gruppe bereit Verhaftung zu riskieren, also entschloss ich mich mitzumachen. Dann gingen wir nach Hause und ruhten uns aus.

 

Sonntag:
An diesem Tag beabsichtigten wir eine gewaltfreie Aktion zivilen Ungehorsams durchzuführen. Wir wolllten dadurch unseren Widerstand gegen den Irakkrieg zum Ausdruck bringen und Martin Luther King ehren. Die Gruppe Iraq Pledge of Resistance (Gelöbnis des Widerstands) übernahm die Organisation. Ihre Philosophie ist die eines strengen, klassischen Pazifismus. Die Catholic Workers (Katholische Arbeiter) und die Quäker schlossen sich ihnen an, sowie andere, die verhältnismäßig risikoarme Aktionen wollten, damit die größtmögliche Zahl von Menschen teilnehmen konnte.

Eine risikoarme, strikt gewaltfreie Aktion zivilen Ungehorsams an einem Sonntag in Washington DC birgt folgendes Problem: Es ist schwer ein geeignetes Ziel zu finden. Was mich betrifft, wird eine Aktion dann machtvoll, wenn es eine direkte Konfrontation gibt mit einer autoritären Einrichtung oder Situation, d.h., ich mag eigentlich nicht an Aktionen teilnehmen,, die zu rein symbolischen Verhaftungen führen. In diesem Fall jedoch schien es einige lohnende Ziele selbst für eine nur symbolische Aktion zu geben. Sie würde der Bush-Junta deutlich machen, dass nicht nur sehr viele Menschen bereit waren zu marschieren und zu demonstrieren, sondern dass eine große Zahl willens war deutlichere Schritte zur Beendigung des Krieges zu unternehmen. Sie würde auf den Marsch eine weitere Starke Aktion folgen lassen. Sie würde einigen menschen die Möglichkeit geben ihren ersten Schritte in Richtung direkter Aktion zu tun. Sie schien ein geeigneter Weg, um Martin Luther King zu ehren. Die für mich naheliegendste Aktion war die Netze, die wir das ganze Wochenende über gewebt hatten, ins Weiße Haus zu tragen, oder doch wenigstens so nahe dahin wie irgend möglich.

Wir fassten den Plan zum Weißen Haus zu marschieren, Einlass zu fordern, um unserer Regierung eine Petition zu übergeben. Für den Fall einer Weigerung würden die einzelnen Gruppen Unterschiedliches tun: das reichte vom Niederknien und Beten bis zum Anbringen unserer Friedensnetze am Zaun.

Wir trafen uns also alle am Farragut Platz, auch wieder an einem kalten, frostigen tag, und marschierten zusammen zur H Street , die an der Rückseite des Lafayette Parks verläuft. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Polizei Barrikaden errichtet und den Park und die Eingänge zum Weißen Haus versperrt. Sie meinten, sie würden 25 Menschen durchlassen und die dann verhaften. Mehr Menschen würden sie nicht verhaften.

Drüben beim Justizministerium hatte der Marsch von jungen Leuten und Studenten von ANSWER begonnen. Sie kamen durch zu der Straße, auf der wir uns befanden, mit ihrem Lautsprecherwagen und kreischenden Mikrofonen, aus denen all die alten Gesänge aus der Zeit des Vietnamkriegs schallten.

"Hey hey, ho ho,

Bush has got to go!"

ertönte so laut, dass es schmerzte. Einige von ihnen kletterten über die Barrikaden und wurden verhaftet. Die Spannungen waren groß zwischen den OrganisatorInnen der Aktionen zivilen Ungehorsams und den Leuten von ANSWER. Es würde zu lange dauern alle Gründe aufzuzählen, warum ein großer Teil der Bewegung ANSWER nicht mag, nur so viel: ANSWER ist bekannt für seine Unfähigkeit zur Zusammenarbeit, für seine Unfähigkeit die Vorstellungen anderer Gruppen anzuhören und deren Platz zu respektieren. Sie selbst nehmen viel Platz ein und sind so laut, dass es in ihrer Anwesenheit fast unmöglich ist andere Energien aufrecht zu erhalten. Es gibt noch weitere politische Probleme zwischen ihnen und anderen, in diesem Augenblick jedoch stellten ihre schiere Lautstärke und ihr Stil ein großes Problem für uns dar. Da waren die älteren Pazifisten, die sich eine feierliche Gebets- und Mahnwache vorstellten, unsere Heidengruppe, die eine fröhliche, jubilierende Wache wollte. Aber in der Nähe dieses Wagens war nichts zu hören als ein mechanischer, wütender Singsang. Ihre LeiterInnen – die gibt es auch – waren nicht bereit bei der Platzverteilung mit unseren SprecherInnen zusammenzuarbeiten. Sie haben uns aufgefordert Leine zu ziehen. Allerdings waren die jungen Leute, die an ihrem Marsch teilnahmen, voll Energie und Fröhlichkeit, kein einziger von ihnen schien auch nur andeutungsweise gewaltbereit zu sein.

Nach und nach veranlassten wir die Gruppe zivilen Ungehorsams sich zum Ende des Häuserblocks zu bewegen. Ein junger Organisator von ANSWER kam zu uns und fragte, warum wir nicht alle zusammen sein und einander unterstützen könnten, falls die Polizei versuchen würde uns zu verhaften. Wir versuchten ihm zu erklären, dass die Mensch auf unserer Seite der Straße die Absicht hatten sich verhaften zu lassen, und das die ANSWER Gruppe um ihrer eigenen Sicherheit willen besser daran täte sich von uns fern zu halten. Nach einiger Zeit des Verhandelns, währenddessen wir u.a. vorgeschlagen hatten, dass sie uns das Mikrofon auf ihrem Wagen geben sollten, damit wir ihren Leuten unsere Aktionen erklären konnten (ich war gespannt, ob sie darauf eingehen würden), löste sich das Problem dadurch dass ihr Wagen weiterfuhr.

Jetzt kam die Polizei und sagte, dass sie die Straße frei machen würden, dass sie uns vertreiben würden, falls wir nicht freiwillig gingen, dass sie uns aber nicht verhaften würden. Das schien beinahe unwirklich nach unserer letzten Aktion in DC, als die Polizisten unsere Gruppe auf dem Gehweg eingeschlossen, festgehalten und schließlich festgenommen hatten. Das Gleiche hatten sie mit hunderten anderer Menschen getan, die im Franklin Park trommelten, nichts Ungesetzliches taten und nicht inhaftiert werden wollten. Jetzt, wo wir absolut bereit waren inhaftiert zu werden, wollten sie nicht. Wir beschlossen uns zum Gehweg zu bewegen und jeweils zu zweit über die Barrikaden zu steigen, wie es beim Salzmarsch Mahatma Gandhis geschehen war. Die Erinnerung an diesen Salzmarsch, als Reihen von Menschen auf die Polizei zu marschierten und von ihr so lange brutal auf den Kopf geschlagen wurden bis sie umfielen, worauf sie nächste Reihe los marschierte, wirkt sicherlich nicht besonders motivierend. Aber wir mussten über die Barrikaden klettern, denn das schien die einzige Möglichkeit zu sein inhaftiert zu werden. Wir versammelten uns an den Barrikaden, unsere Gruppe suchte sich einen Baum aus, webte ein Netz in sein Geäst und befestigte daran unsere Hulahoop-Netze. Wir waren übereingekommen sie, falls wir nicht zum Weißen Haus durchkämen, am Ort der Konfrontation mit der Polizei zu lassen.

Zwei der HauptorganisatorInnen begannen über die Barrikaden zu klettern. Sie bewegten sich langsam und bedächtig, weil sie Gewaltfreiheit demonstrieren und alles unterlassen wollten, was die Polizei als bedrohlich empfinden könnte. Das bedeutete aber, dass die Polizei sie einfach zurückstoßen konnte. Uns wurde klar, dass diese Taktik uns weder über die Barrikaden noch ins Gefängnis bringen würde, deshalb bildeten wir wieder Gruppen und beschlossen die Straße zu besetzen. Im geeigneten Augenblick schwärmten wir aus, durch die Polizeireihen hindurch, und setzten uns auf die Straße. Wenn auch zögernd, so begannen die Polizisten doch tatsächlich Leute auf den Gehweg zurückzuziehen. Wir wehrten sie für kurze Zeit ab. Eine junge Frau in unserer Gruppe zog einen Beutel voll blutiger Tampons hervor und schrieb: "Kein Blut für Öl!" auf die Straße. Ein paar Polizisten waren schockiert und angewidert, als ihnen klar wurde, um welche Sorte Blut es sich handelte. Unsere medizinischen HelferInnen machten sich Sorgen, dachten sie doch, sie habe sich verletzt, bemerkten dann aber, dass dem nicht so war. Ich sprach ein stummes Gebet: "Wenn Blut vergossen werden muss, dann lass es dieses sein. Lass das Lebensblut der Frauen, das ohne Verletzung fließt, das Geburtsblut, das aus dem Mutterleib fließt bei der Geburt eines Kindes das einzige Blut sein, das vergossen wird. Blutzauber ist machtvoll. Eine Welle von Kraft bebte durch die Luft in Richtung auf das Weiße Haus.

Ich hatte das Gefühl, dass unsere Aktion so vollkommen war wie sie nur sein konnte. Wir hatten unseren symbolischen Punkt gemacht, obwohl wir nicht inhaftiert worden waren und wir hatten unseren Zauber gemacht. Lisa kam zu dem Platz, wo ich saß auf der Straße, und zischte: "Wir müssen uns noch überlegen, wie wir unseren Sieg verkünden. Obwohl die Menge absolut friedlich war, hatte es die Polizei doch irgendwie geschafft, eine alte Frau auf den Kopf zu schlagen und einen Mann zu verletzen. Ein Sanitätswagen kam, um die beiden wegzubringen. Als er abfuhr, gingen wir alle auf den Gehweg und liefen in Richtung des Farragut Platzes. Dabei schlossen wir uns einer Gruppe von anarchistischen Trommlern an und übernahmen die Straße. Sobald wir auf dem Platz waren, stand Gordon auf und verkündete unseren Sieg. Ich bat Lisa den Spiraltanz zu erklären. Sie hielt eine kurze Rede über Widerstand, wir formten einen Kreis und tanzten einen wunderschönen Spiraltanz mit mehreren hundert Menschen, den Trommlern in der Mitte, und alle Teilnehmenden konnten den von ihnen gewünschten Gesang anstimmen.

Als alles vorbei war, versammelten sich die Heiden. Wir öffneten unseren Kreis für das Wochenende, und uns allen wurde plötzlich bewusst, wie eisig kalt es war.

 

Montag:
Märsche und Treffen und Foren und Gottesdienste fanden statt zum Gedenken an Martin Luther King. Allerdings muss ich zugeben, dass unser Haushalt erschöpft war und deshalb an keiner der Veranstaltungen teilnahm. Wir besuchten Carol im Krankenhaus, eine junge Aktivistin, die einige Wochen zuvor ernstlich verletzt worden war, als ein Bus ihr Fahrrad gestreift hatte. Wir lasen die Presseberichte, aßen zu Mittag und fuhren zum Flughafen.

 

 Schlussfolgerung:

Dieses Wochenende hat einen unglaublich starken öffentlichen Widerstand gegen den Krieg gezeigt und ganz deutliche Unterstützung für Frieden. Ich sehe mit großem Respekt wie erfolgreich wir in nur ein paar Monaten eine Friedensbewegung in diesem Land aufgebaut haben. Es ist phänomenal, solch riesige Zahlen auf die Straßen zu bekommen, bevor der Krieg angefangen hat und ohne drohenden Einzug zum Militär. Jenseits der großen Aktionen und Märsche gab es überall im Land kleine Aktionen und Mahnwachen und Blockaden. Während des 1. Golfkrieges, als wir in der Bucht von San Francisco große Demonstrationen und ziemlich militante Aktionen veranstalteten, berichteten die Medien überhaupt nicht. Dieses Mal gab es eine massive, weltweite Berichterstattung, die sehr hilfreich war. Noch im vergangenen Oktober versuchten die Medien die Anzahl von Menschen, die an den großen Märschen teilnahmen, klein zu reden. Dieses Mal hat die Washington Post die Schätzungen von 300.000 bis 500.000 Menschen nicht einmal in Frage gestellt. Während des Vietnam Krieges dauerte es ungefähr 7 Jahre, bevor ein so großer öffentlicher Widerstand aufgebaut war. Die Tatsache, dass wir hierzu nur Monate brauchten, sagt etwas aus über den Stand öffentlichen Bewusstseins und öffentlicher Unzufriedenheit. Die Herausforderung besteht jetzt darin, den Schwung beizubehalten oder ihn noch zu verstärken, und sich breiteren Fragen zuzuwenden: vom einfachen Widerstand gegen den Krieg zu den größeren wirtschaftlichen und politischen Problemen, die uns erst in diese Lage gebracht haben.

Aber heute geht es mir gut! Hoffnungsfroh und optimistisch aale ich mich in dem Gefühl des Sieges. Und was immer auch geschehen mag, ich beabsichtige diesen Augenblick zu genießen.